Anm. 52,12-15

Jede Übersetzung aus dem hebräischen Original ist schon Interpretation, insbesondere bei einem so umstrittenen, schwierigen Text wie Jes. 53. Da ich diesen Text sehr liebe und schon lange Jahre lese, biete ich eine eigene Übersetzung an. Mein Ziel ist es, eine überzeugende, nachvollziehbare Begründung für meine Wahl der Übersetzung zu geben und den Blick auf Zusammenhänge zu geben, die dem nicht sprachkundigen Leser verschlossen sind. Übersetzungen anderer Textstellen entstammen der letzten offiziellen Luther Revision. 

Die Zielperson der vorliegenden Arbeit ist der nicht sprachkundige Leser, der aber großes Interesse an dem Text selbst hat und seine Erkenntnisse erweitern möchte. Es werden nur Anmerkungen zum Text gegeben, wenn sprachliche Auffälligkeiten oder ein Blick in die Urtextkonkordanzen dazu einladen. Für meinen persönlichen Glauben war gerade dieser Text wichtig. Doch bin ich mit Kommentaren sehr zurückhaltend. Fremde Kommentare sind manchmal geradezu lästig; sie sind überflüssig, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, dass der Text aus sich redet.

52, 13. Siehe, mein Knecht wird einsichtig gemacht, er wird erhöht und hochgehoben und sehr erhaben sein.

„Knecht“ wird in der LXX mit einem Wort wiedergegeben, das auch „Sohn“ bedeuten kann und deshalb wurde über Apg. 3, 13.26 + 4, 27.30 „Knecht Gottes“ geradezu zum Würdenamen Jesu.

Eine interessante Auslegung zur hebräischen Bibel bleibt dem deutschen Leser verborgen: Jes. 43,24: Mir hast du nicht für Geld köstliches Gewürz gekauft, mich hast du mit dem Fett deiner Opfer nicht gelabt. Aber mir hast du Arbeit gemacht mit deinen Sünden und hast mir Mühe gemacht mit deinen Missetaten. Man denkt nicht an den Knecht aus Jes. 53, sondern eher an lästige Fliegen bei der großen Macht Gottes, aber die korrekte Übersetzung ist: …mich hast du zum Knecht/Sklaven gemacht mit deinen Verfehlungen und hast mich matt gemacht mit deiner Verkehrtheit. Nun ist die Ungeheuerlichkeit dieser Aussage schon zu erahnen. Wie kann der Schöpfer aller Dinge sich zu einem Sklaven machen lassen. Auch die zweite Aussage passt nicht zum Wesen Gottes. Hier wird gesagt, Gott hat sich „matt“ machen lassen. Doch in Jes. 40, 28 heißt es: Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. Dasselbe hebräische Wort wird an beiden Stellen gebraucht. Gott wird nach Jes. 40, 28 überhaupt nicht matt, doch die Verkehrtheit seines Volkes macht ihn matt! Es ist keine Belästigung, sondern durch die Verfehlungen ist Gott gezwungen etwas zu tun, was nicht zu seinem Wesen gehört.

Die 3 Erhöhungsaussagen verdienen es, genauer analysiert zu werden. Die LXX spielt beim ersten griechischen Verb eine wichtige Rolle, denn das Evangelium nach Johannes hat das griechische Wort fest mit der Kreuzigung Jesu verknüpft. So heißt es in Joh. 3, 14 mit Verweis auf 4. Mose 21,9: Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, (15) damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. Joh. 8,28: Da sprach Jesus zu ihnen: Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin und nichts von mir selber tue, sondern, wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich. Joh. 12,32-34: Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen. Das sagte er aber, um anzuzeigen, welchen Todes er sterben würde. Da antwortete ihm das Volk: Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Christus in Ewigkeit bleibt; wieso sagst du dann: Der Menschensohn muss erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn?

Von den Gegnern des Christentums wird die Deutung auf das Kreuz heftig bestritten. Die beiden ersten hebräischen Verben könnte man durchaus übertragen verstehen und auf einen erfolgreichen Menschen beziehen. Auch bei der letzten Erhöhungsaussage signalisiert kein Übersetzer Schwierigkeiten. Doch angemessen ist dieses Wort nur für JHWH. Für einen Menschen ist diese dritte Erhöhungsaussage fast unangemessen „hoch“, es bekommt den Sinn von „hochfahrend sein“. Um das zu verdeutlichen, zitiere ich einfach die 4 Vorkommen dieses Wortes bei Jesaja nach der Luther Revision, denn seine deutende Übersetzung lässt die Wortbedeutung erkennen.

Jes. 3,16+17: So hat der HERR gesprochen: Weil die Töchter Zions stolz sind und gehen mit aufgerecktem Halse, mit lüsternen Augen, trippeln daher und tänzeln und haben kostbare Schuhe an ihren Füßen, deshalb wird der Herr den Scheitel der Töchter Zions kahl machen, und der HERR wird ihre Schläfe entblößen. Jes. 5,16: So wird gebeugt der Mensch und gedemütigt der Mann, und die Augen der Hoffärtigen werden erniedrigt, aber der HERR Zebaoth wird hoch sein im Gericht und Gott, der Heilige, sich heilig erweisen in Gerechtigkeit. Jes. 55,9 (2Vorkommen): (8) Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, (9) sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. Aus den sonstigen Vorkommen im AT greife ich das Bekenntnis eines Beters heraus, der geradezu beteuert, nicht „hoch“ zu sein. Ps. 131,1: HERR, mein Herz ist nicht hoffärtig, und meine Augen sind nicht stolz; Ich gehe nicht um mit großen Dingen, die mir zu wunderbar sind.

M.E. ist dieses Wort nicht anstößig bei der „Höhe“ des Kreuzes, aber unangebracht, um den Erfolg eines Menschen zu beschreiben.

52, 14. Demgemäß entsetzten sich viele über dich, denn entstellt war seine Erscheinung stärker als die eines Menschen, seine Gestalt stärker als die der Menschenkinder.

„Entstellt“ passt nicht recht in ein Gottesknechtslied, dieses Wort gehört in das Kultgeschehen; in 3. Mose 22,25 wird mit diesem Wort ein untaugliches Opfertier bezeichnet. Aber ebenso unangemessen ist es, wenn in Jes. 53,10 der Knecht sein Leben als „Schuldopfer“ darbringt. Diese deplatzierten Begriffe stützen sich gegenseitig, ohne dass am Text herumzuflicken ist. Es ist ohne Deutung auf das Kreuz auch nicht zu erklären, warum jemand „sich entsetzen“ soll, wenn vorher nur der Erfolg eines Menschen beschrieben wird.

52, 15. So wird er viele Nationen besprengen, über ihn werden Könige ihren Mund verschließen, denn sie sehen, was ihnen nicht erzählt wurde, und sie verstehen, was sie nicht gehört haben.

Da bekanntlich aller guten Dinge drei sind, hat auch dieser Vers ein Wort, das in das Kultgeschehen gehört. An dem hebräischen Wort für „besprengen“ wird häufig Anstoß genommen. Man übersetzt gerne mit der LXX „in Erstaunen setzen“, übersieht aber, dass die LXX mit diesem Textstück überhaupt nicht klarkam, weil sie es offensichtlich niemandem zuordnen konnte. Das ist indirekt eine Bestätigung für die Deutung auf die Kreuzigung Jesu! „Besprengen“ gehört in den Opferkult, wo mit dem Blut der Opfertiere die Reinigung vollzogen wird. „Blut sprengen“ ist zu lesen in 3. Mose 16, 14-19. Überzeugend beanstanden kann man dieses Wort nicht, sogar 2 von den 3 jüngeren griechischen Übersetzern (Aquila und Theodotion) gebrauchen denselben griech. Wortstamm, der in Hebr. 12,24 und 1. Petr. 1,2 im „Blut der Besprengung“ verwendet wird. Hebr. 12,24: (ihr seid gekommen) zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung, das besser redet als Abels Blut. 1. Petr. 1,2: (1)Petrus, ein Apostel Jesu Christi, an die auserwählten Fremdlinge, die verstreut wohnen in Pontus, Galatien, Kappadozien, der Provinz Asien und Bithynien, (2)die Gott, der Vater, ausersehen hat durch die Heiligung des Geistes zum Gehorsam und zur Besprengung mit dem Blut Jesu Christi: Gott gebe euch viel Gnade und Frieden! Jes. 53 führt mitten in die Opferthematik hinein und dieses oft beanstandete Wort „besprengen“ ist sehr wichtig. Ich sehe auch nicht ein, mich zu entschuldigen, weil die Deutung auf das Kreuz die einzig überzeugende ist!